Byhleguhre – Fluss der Finsternis

Mörderischer Super-8-Spass

Gunnar Grah, 24. April 2018

Ein üppiger Urwald – unkartiertes Territorium. Träge wälzt sich ein Fluss hindurch, seine Ufer gesäumt von umgestürzten und verrottenden Bäumen. Hinter einer Biegung erscheint ein Kanu, das ein tropenbehelmter Forscher stromaufwärts steuert. Seine Mission: das Schicksal einer Frau zu klären, die in diesem Gebiet verschwunden ist. Was – oder wer – wird ihn am Ende seiner Reise erwarten?

Das klingt nach einer Szene, die für einen klassischen Abenteuerfilm gedreht worden sein mag, allerdings fehlt von einer Filmcrew jede Spur. Da ist wirklich nur diese einsame Person in ihrem Boot und eine zweite am Ufer, die hinter einer leise surrenden Super-8-Kamera steht.

Mit unseren Projekten machen wir den Versuch, große Geschichten auf dem kleinsten verfügbaren Filmformat zu bannen und dabei mit dem geringstmöglichen Budget zu arbeiten. Uns interessiert dabei, welche Elemente einer als Film erzählten Geschichte wirklich essentiell sind – und worauf man andererseits verzichten kann.

Während des Drehs bestehen Stab und Besetzung unserer Filme üblicherweise nur aus drei Personen, weshalb sich uns das Thema „Einsamkeit“ wiederholt aufgedrängt hat. Für unseren letzten Film hatten wir uns von sowjetischen Science-Fiction-Filmen wie Andrei Tarkowskis „Stalker“ inspirieren lassen. Das Resultat war der schwarz-weiße Kurzfilm „Veterok“.

DREH IN UNERFORSCHTEM GELÄNDE

Das Sujet des klassischen Abenteuerfilms, der gern in fremden und unerforschten Ländern verortet wird, war der gesetzte Rahmen für unseren neuen Film. Exotik und eine schwelgerische Fülle an Farben in Technicolor waren uns nicht vergönnt, jedoch das professionelle Negativ-Material von Kodak im kleinen Format erhältlich. Im Oktober 2016 fuhren wir in den Spreewald, den der namensgebende Fluss sowie ungezählte kleinere, künstlich angelegte Kanäle durchkreuzen. Nur eine Stunde südlich von Berlin gelegen, erreichten wir unseren Behelfsdschungel mit einer Schachtel Super-8-Kassetten, einem Kombi voller Requisiten und einer kleinen Filmausrüstung. Wir machen Super-8-Filme ausschließlich in unserer Freizeit, weshalb uns nur die Wochenenden zur Verfügung stehen. Aber da wir uns stur über die drei goldenen Regeln effizienten Filmemachens hinwegsetzten (nicht auf Wasser, mit Tieren oder Kindern drehen), stand schon sehr bald fest, dass wir in diesen zwei Tagen nur das Finale in den Kasten bekommen würden. Denn hierfür benötigten wir viele unterschiedliche Einstellungen sowie spezielles Make-up, Effekte und den zielgerichteten Einsatz einer Handvoll Fliegenlarven. Die Eröffnung des Films würden wir in einem zweiten Dreh angehen müssen.

Um den besten Drehort zu finden, griffen wir auf die Analyse von Luftaufnahmen des Gebiets und höflichen Landfriedensbruch zurück. Dankenswerterweise verzichtete eine Landbesitzerin darauf, ihre Hunde auf uns loszulassen, als wir uns ihr auf ihrem eigenen Grund und Boden näherten. Nicht nur das, sie erlaubte uns auch an einem Ort zu drehen, der alles verband, was wir für die geplanten Szenen benötigten: sumpfiges, stehendes Wasser, alte Bäume sowie Buschwerk in ausreichender Menge und Dichte, um einen benachbarten Acker zu verbergen. Quartier bezogen wir in einer Jugendherberge, um unser Budget zu schonen. An anderer Stelle gelang das nicht so gut, denn der einzige Ort, an dem wir am Ende der Drehtage noch etwas Warmes zu Essen bekamen, war das Restaurant des örtlichen Thermalbads.

TECHNISCHE DETAILS

Wie schon unseren letzten Film drehten wir auch jetzt wieder mit einer Elmo Super 110, einer Stummfilmkamera mit bemerkenswerter Bildqualität und ausgezeichneter Handhabung. Allerdings mussten wir einen externen Belichtungsmesser nutzen, da diese Kamera die Lichtempfindlichkeit unseres Filmmaterials – KODAK Vision3 500T – nicht korrekt ablesen kann. Einen so empfindlichen Film lernt man sehr zu schätzen, wenn man im Oktober bei Nieselregen unter viel Laubwerk drehen möchte. Als wir später die Positivkopie sahen, gaben die Farbe und das Korn dieses Materials unserem Film genau das Aussehen, das wir erhofft hatten.

Während des Drehs waren wir heilfroh, dass wir uns auf Privatgelände befanden. Tropische Abenteuerfilme erfordern Kostüme und Requisiten, die im herbstlichen Mitteleuropa schnell deplatziert wirken können. Passanten hätten sich genötigt fühlen können, uns anzusprechen oder alternativ den örtlichen Behörden zu melden. Zum Glück blieb uns beides während des Drehs erspart, der auch ohne Ablenkungen anstrengend genug war.

Am Schluss des ersten Produktionswochenendes hatten wir die zweite Hälfte des Films abgedreht. Kameramann Andreas Kersten und Darsteller Florian Rau kehrten eine Woche später zurück, um die langen Einstellungen der Bootsreise zu drehen, mit denen der Film eröffnet. Unser Protagonist ist im Dschungel mit dem Boot unterwegs, wodurch wir mehrere Kamerafahrten auf dem Wasser einbauen konnten. Einen großen Nachteil hatten diese Szenen jedoch: Andreas Kersten saß allein in seinem Boot, weswegen er für jeden Take zuerst sein Boot beschleunigen, dann das Paddel wegwerfen und die Kamera starten musste, um Florian Rau (der den Forscher und Abenteurer Choke Nansen spielte) zu filmen – bevor er das Paddel für den nächsten Take wieder einsammeln musste.

DER ERSTE BLICK

Im Februar des darauffolgenden Jahres sahen wir zum ersten Mal das Negativmaterial. Grundsätzlich waren wir zufrieden, fanden aber auch, dass einige Szenen durch zusätzliche Einstellungen besser funktionieren würden. Selbstverständlich ließ sich da während des Winters und auch im Frühling noch nichts machen. Wir warteten also geduldig, dass der Sommer zurückkam und dem Wald ein angemessen üppiges Aussehen verlieh, um die restlichen Szenen zu filmen. Gleichzeitig rückte aber auch die Frist für das Filmfest in Weiterstadt immer näher, wo wir unser Werk zum ersten Mal zeigen wollten. Weiterstadt ist einer der wenigen Orte in Deutschland, wo Super-8-Produktionen nicht digital gezeigt, sondern von einer echten Filmrolle projiziert werden.

TONDESIGN

Doch bevor wir „Byhleguhre, Fluß der Finsternis“ präsentieren konnten, mussten wir Ton an unseren Film legen. Hierfür taten wir uns mit dem Komponisten und Sounddesigner Fabian Koppri zusammen, der bereits „Veterok“ vertont hatte. Damals hatte er Toneffekte und Musik zu einem Soundtrack verschmolzen. „Byhleguhre“ kam aber viel traditioneller daher und erforderte, dass er mehrere individuelle Stücke für uns komponierte. Zweites wichtiges Element des Tons waren die Geräusche, die einen nassen europäischen Wald in einen exotischen Dschungel verwandelten. Da das Premierendatum schnell näherkam, ließen wir Fabian Koppri nicht viel Zeit, doch die nutzte er gut und schuf wunderschöne Musik und Soundeffekte. Währenddessen schnitt Florian Rau das Negativ entsprechend unserer digitalen Schnittversion und schickte sie zu Andec für die Positivkopie.

Ton und Bild synchron zu bekommen war die letzte Herausforderung. Einige Toneffekte im Finale mussten auf den Sekundenbruchteil richtig sitzen. Wir lernten die Variationen in der Laufgeschwindigkeit des Projektors hassen, mit dem die Magnetspur des Films bespielt wurde. Zum Glück lief der Soundtrack bis zum Ende synchron, noch bevor der Film erste Laufspuren sammelte. Mittlerweile hatte das Filmfest in Weiterstadt eröffnet.

Doch letzten Endes hat sich der Stress gelohnt: Das Publikum mochte unsere schräge kleine Geschichte genug, um für uns zu stimmen. Und passend für einen Film, der in einem Wald spielt, ging der Filmhirsch von Weiterstadt an uns. Mittlerweile haben wir „Byhleguhre“ bei einigen weiteren Festivals eingereicht, doch gleichzeitig fragen wir uns: Welches Genre sollten wir uns als nächstes vornehmen?



Wir danken unseren Sponsoren, die das Entstehen des Super 8 Webportals möglich gemacht haben.

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