Das Kino aus dem Kühlschrank

Ein Holländer liebt Schlagerfilme

Jürgen Lossau, 22. August 2017

„I am crazy for Slagerfilms“, lacht er und deutet stolz auf eine lange Reihe von 35mm-Kopien in seinem Werkstattzimmer. Johan van Gend, der in Utrecht lebt, liebt deutsche Schinken, die in den 1950er und 1960er Jahren entstanden sind. „Conny und Peter machen Musik“, „Unter fremden Sternen“, „Davon träumen alle Mädchen“ – Streifen mit Conny Froboess, Freddy Quinn oder Peter Kraus, die haben es ihm angetan. Und, wenn er sie erwischen kann, zeigt er sie im eigenen Kino. Das hat der frühere Philips-Servicetechniker aus allem zusammengezimmert, was ihm unter die Finger kam. Die Lampen stammen aus alten Kühlschränken – Marke Philips, versteht sich.

Und auch die fabelhafte Projektionstechnik, die bei van Gend unterm Dachgiebel steht, kommt von Philips. Ein auf Schienen fahrbarer 35mm-Projektor, der bei Bedarf einem 16mm-Vorführgerät, ebenso von Philips, Platz machen kann. 50 abendfüllende Kinostreifen nennt er sein Eigen, hundert 16mm-Filme stehen in seinem  Archiv. Die Familie, so sagt van Gend, kennt längst alle Titel. Aber unter den Nachbarn sind immer wieder Interessenten, die gern einen Abend bei ihm verbringen. Und so gibt es monatliche Vorführungen unter dem Dach seines Reihenhauses.

In die heiligen roten Hallen zu gelangen ist abenteuerlich. Wie in Holland üblich, führt eine extrem steile und schmale Stiege in das kleine, feine Kino mit zwölf Plätzen. Damit jeder unbeschwert nach oben kommt, hat Tüftler van Gend einen Fahrstuhl eingerichtet. Man steht auf einem kleinen Plateau, das sich per Knopfdruck nach oben bewegt. Dort angekommen, verschlägt es einem dem Atem. Rote Wände, goldene Stuckleisten, echte Kinosessel und ein elektrisch betriebener Vorhang lassen erahnen, wie viel Arbeit in dem liebevoll ausgestatteten Bau steckt.

Schmonzette mit Freddy
Die Leinwand lässt sich auf 16mm, 35mm und Cinemascope anpassen. Vor den Stuhlreihen steht ein Tisch, mit Filmrollen verziert, auf dem Getränke und Knabberkram serviert werden. Hier muss man auf nichts verzichten. Schließlich beginnt die Vorführung. „Heimweh nach St. Pauli“ steht heute auf dem Programm, eine herrliche Schmonzette mit Freddy Quinn und Carl Voscherau, dem Vater des späteren Hamburger Bürgermeisters. Und da, nämlich in Hamburg, spielt auch der halbe Film. Vielfach allerdings im Studio – vor gemalten Kulissen. Wenn auf dem Fischmarkt Freddys Film-Mutter, gespielt vom früheren Ohnsorg-Star Erna Sellmer, Blumen verhökert, dann lacht der Hamburg-Kenner über die alten aufgepinselten Fassaden, die im Hintergrund zu sehen sind und die zur Drehzeit am Originalschauplatz schon gar nicht mehr standen.

Beppo Brehm, Bill Ramsey, Jayne Mansfield – alle haben sie mitgemacht bei dieser Story um den einsamen Sänger, der in Amerika zum Star wurde, aber nichts sehnlicher wünscht als wieder nach Hamburg zurückkehren zu können. Das tut er dann auch irgendwann, aber bis es soweit ist, kommen herrliche Lieder über seine Lippen, die zum Mitschunkeln einladen:

„Ich fahre jedes Jahr mal um die Erde rund,
Doch nirgendwo bin wirklich ich zuhaus.
Die Sehnsucht brennt hier schlimmer als Jamaica Rum,
Die kriegt man aus dem Herzen gar nicht raus.
Ich bin in einem fremden Land ein Fremder immer bloß,
Die Sehnsucht nach der Waterkant, die lässt mich nicht mehr los.

Ich hab’ Heimweh nach St. Pauli,
Nach St. Pauli und der Reeperbahn.
Denn es gibt nur ein St. Pauli,
Und es gibt nur eine Reeperbahn.
Und find’ ich mal in fremden Ländern
Ein kurzes unverhofftes Glück.
So kann das alles gar nicht ändern,
Ich komme doch zu dir zurück.

Denn in Shanghai und in Bombay,
In Kalkutta und Afghanistan
Hab’ ich Heimweh nach St. Pauli,
Nach St. Pauli und der Reeperbahn.“

Da wird fleißig an einem Mythos gestrickt, der jahrelang in den Medien funktionierte: „Das gibt’s nur auf der Reeperbahn bei Nacht“ oder „Junge, komm bald wieder“ sind die Hits, die diesen Film leben lassen und die jeder mitsingen kann. Auch Landratte Johan, der eigentlich kein Deutsch spricht. Doch zum Glück ist die Kopie, die er ergattert hat, holländisch untertitelt. „Slagerfilms stimmen fröhlich“, sagt er. „Das sind Streifen aus einer Zeit als ich noch jung war. Und so will ich die Stars auch in Erinnerung behalten. Eine faltenfreie Conny Froboess, ein knackiger Freddy Quinn. Wie diese Leute heute aussehen, was sie heute spielen, interessiert mich nicht.“

Sammeln ist van Gends Leidenschaft
Seit 1970 sammelt Johan van Gend Filmkopien und Filmprojektoren. Natürlich hat er auch selbst Filme gedreht: auf 8mm und später auf Super-8. „Aber nur die eigene Familie“, erinnert er sich. Doch einen Projektor für diese Formate gibt es in seinem Kino nicht. Zu besten Zeiten hatte der Bastelfreak fünf Kinomaschinen und 60 Projektoren für 8mm, 9,5mm und 16mm angehäuft: „Ich wollte meinen Freunden die Historie der Formate erklären, die Technik, die nötig ist, um Bilder auf die Leinwand zu werfen.“

1980 baute er sein erstes Kino. Drei Monate dauerte der Spaß. Doch als vor zwölf Jahren seine Frau verstarb, trennte sich van Gend von der Projektorensammlung. „Ich wollte keinen Ballast anhäufen, mit dem sich meine Kinder bei meinem Tod herumschlagen müssen“, sagt der Mann, der eigentlich noch mitten im Leben steht. Denn inzwischen hat er eine neue Partnerin gefunden, ein neues Haus bezogen und auch ein neues Kino gebaut, das 1999 eingeweiht wurde. „Out of Africa“ oder „Schneewittchen“ sind hier schon über die Leinwand geflackert.

„Mein Hobby ist kein billiger Spaß“, weiß Johan. 1000 Gulden, rund 900 Mark, musste er früher für aktuelle Kinohits bezahlen – wenn er denn überhaupt an eine Kopie herankam. Sein spezielles Faible, die deutschen Schlagerfilme, sind deutlich billiger. 250 Gulden zahlte er für einen Streifen mit Conny Froboess. Vor einem Jahr hat er zuletzt einen Film erworben. „Es ist immer weniger zu bekommen. Nur wenn ein Sammler mal stirbt, gibt es neues Material auf dem Markt. Doch meist haben die Erben irrwitzige Preisvorstellungen.“

Schlager aus der Musicbox
Später, als wir im Wohnzimmer bei einer Tasse Kaffee sitzen, erzählt van Gend wie seine Leidenschaft begann. Alles hat in einem Eisenbahnwaggon angefangen. Der stand seit 1946 im Hauptbahnhof von Utrecht, um den wartenden Reisenden die Zeit zu vertreiben. „22 Jahre lang konnte man hier Kino gucken, bevor der eigene Zug abfuhr“, schmunzelt van Gend und denkt an eine Zeit als man noch lange auf die Anschlüsse warten musste. Damit man seinen Zug nicht verpasste, hing neben der Leinwand eine Uhr und auf einer Anzeigetafel waren die nächsten Verbindungen zu sehen. Hier fing der Filmfan Feuer. 1948 kaufte van Gend seinen ersten eigenen Projektor. Und als der Kinowaggon Ende der 1960er Jahre abgewrackt werden sollte, da wollte Johan das gute Stück natürlich kaufen. Doch die Konstruktion war zu hoch, konnte nicht über die inzwischen elektrifizierten Schienenstränge transportiert werden. Das Verladen auf einen LKW wäre zu teuer geworden. So wurde das Kino im Bahnhof an Ort und Stelle zu Schrott zerlegt und Johan musste sich ein eigenes Filmtheater bauen.

Der Kaffee ist alle und der Hausherr fordert mich auf, eine Platte auszuwählen. Neben ihm steht eine tipptopp gepflegte Musicbox, voll von schwarzen Scheiben. Ich drücke, wie kann es anders sein an diesem Tag, einen Song von Freddy Quinn und Johan verrät, was er gerne hätte: „Einen kleinen Drehtisch fürs Wechselgeld, so wie es das früher in den Boxen gab, aus denen heraus Tickets verkauft wurden, das wünsche ich mir.“ Vielleicht weiß ja ein Leser, wo van Gend so etwas aufstöbern kann. Oder aber, wo alte „Slagerfilms“ zu finden sind, die Johan fröhlich stimmen.



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