Die Kleine aus dem Schrank

Als Agfa die Kassette schrumpfte

Jürgen Lossau, 15. Februar 2020

Sie hat noch kein Objektiv. Sie hat auch keinen Sucher. Aber sie hat schon einen Namen: Agfacord 80. Irgendwann zwischen 1975 und 1979 wollte sich der Filmhersteller aus Leverkusen mit einer völlig neuen Filmkamera einen Namen machen. Das würde nur gelingen, so war man sich bei Agfa sicher, wenn der Super-8-Film in eine kleinere Kassette wandert. Die Prototypen zur Kamera und zur Filmkassette gibt es noch. Sie waren eine potentielle Kampfansage an Kodak.

Agfacord 80 Kameraentwurf mit kleinen Super-8-Kassetten. Foto: Jürgen Lossau

1980 – der Markt für Schmalfilmkameras bricht weltweit rasant ein. Agfa setzt auf ein neues Konzept: die runde Family. Eine Kamera mit nur zwei Tasten. Eine fürs Filmen, eine für Standbilder im Super-8-Streifen, die im Bildschirm-Projektor für ein paar Sekunden angehalten werden. Sogar Sofortbilder lassen sich davon im Projektor machen. Die kugelrunde Plastikkiste ist der verzweifelte Versuch, mit einer neuartigen Familienkamera den siechenden Markt zu befeuern. Vergebens.

Schon zuvor tüftelt ein Technik-Team von Agfa im Camerawerk München an einer weiteren Idee. Es soll eine ganz kleine Taschenkamera werden, eine Actioncam, die an die legendäre Agfa Microflex erinnert. Quasi in die Hand hinein konstruiert. Nur eben im zeitgemäßen Design. Und noch kleiner als die alten Agfas mit dem Sensor-Auslöser.

Vorderseite der kleinen Kassetten, das durchsichtige Plastik ist lediglich zur Anschauung.  Foto: Jürgen Lossau

Der Entwurf des Modells, das den Namen Agfacord 80 trägt, entsteht bei den üblichen Verdächtigen: Schlagheck Schultes Design mit Sitz im Raum München. Diese Firma ist für das Aussehen fast aller Foto- und Filmgeräte der Marke Agfa verantwortlich. Ein ehemaliger Mitarbeiter der Designschmiede erinnert sich: „Es war der Versuch, mit einer hochwertigen, superkleinen Filmkamera den aufkommenden, aber klobigen Videomaschinen Paroli zu bieten.“ Der Handschmeichler hat nur eine Taste: den Auslöser, oben auf der Kamera, die ohne Handgriff auskommt. Anders als Anfang der 1970er Jahre, als die Sensor-Auslöser rund waren, ist der neue eckig. Geblieben ist die Farbe Orange.

Doch richtig klein kann die Filmkamera mit der klobigen Super-8-Kassette, die Kodak 1964 in den Markt gebracht hat, nicht sein. So machen sich die Ingenieure an das Undenkbare – eine kleinere Kassette. Und tatsächlich sind die vorliegenden Prototypen ein Drittel kleiner, in der Höhe wie in der Breite. Stellt man sie neben das Modell der Agfacord 80 merkt man, dass die Kamera schon noch einen Zentimeter dicker sein müsste, um die veränderte Kassette aufzunehmen. Aber immerhin, ein Anfang war gemacht. Möglich ist dies nur, weil Agfa Film auf Polyesterträger in die kleine Kassette füllen will. Im Prototyp steckt dieses Material bereits drin, 15 Meter, genauso lang wie beim großen Bruder Kodak. Bislang hatte Agfa, wie auch bei Kodak üblich, Filme auf Acetatbasis hergestellt, die rund ein Drittel dicker sind als Polyesterstreifen.

In einem zweiten Entwurf versucht sich Agfa an einer Endloskassette. Sie wickelt den gerade belichteten Film auf der gleichen Spule wieder auf, von dem der Film ursprünglich kommt. Dadurch kann auf der Rückseite der Kassette Platz gespart werden – für die Technik, die in der Kamera untergebracht werden muss. Ein Versuch, die Breite der Kamera gering zu halten.

Rechts die Endloskassette. Foto: Jürgen Lossau

Agfa war ein Film auf Polyesterbasis zu Beginn der Super-8-Zeit nicht geglückt. Um 1965 versuchten sich die Leverkusener an der Single-8-Kassette des Rivalen Fuji Film. Die japanische Marke füllte 15 Meter Polyester-Filmstreifen in ihre kleinen Kassetten. Agfa versuchte es mit dickerem Acetatfilm, doch es passten nur mickrige zehn Meter in die Kassetten der Konkurrenz. Kurze Zeit blieb man mit der Single-8-Kassette am Markt, dann schwenkte Agfa komplett auf die weltweit erfolgreich eingeführte Super-8-Kassette von Kodak um – und konnte beim Acetatträger bleiben. Zehn Jahre später ist man wohl in der Lage, auf Polyesterbasis zu produzieren. Und somit eine Konkurrenzkassette zu Kodak auf den Markt zu werfen.

Einen weiteren Entwurf für Agfa entdeckt Industrie-Designer Julian Schlagheck, Sohn des Firmenmitbegründers, auf zwei Dias. Der heutige Geschäftsführer der in Schlagheck Design umbenannten Firma weiß, dass sein Vater Norbert für nahezu alle Schmalfilm-Entwürfe bei Agfa verantwortlich zeichnete. Einer davon ist eine Super-8-Kassette namens Moviesette mini, für die es einen Adapter gibt, der die Maße der von Kodak entwickelten Kassette hat. Im Größenvergleich zwischen den beiden Plastikboxen lässt sich das eingesparte Volumen gut abschätzen. „Leider ist der genaue Zeitpunkt des Entwurfs schwer feststellbar“, sagt Julian Schlagheck.

Moviesette Mini Super-8-Kassette und ein Adapter, um daraus eine normale Super-8-Kassette zu zaubern. Foto: Schlagheck Design

Und auch ein Dia zwei weiterer Super-8-Kameraentwürfe, offenbar als Nachfolger der Microflex-Reihe konstruiert, kann der Münchner Designer auftreiben. Es zeigt die Agfa Moviematic C200 und C300, schlanke Kameras, vermutlich ebenfalls für verkleinerte Super-8-Kassetten gedacht. Beide Modelle weisen zwei Tasten auf, wohl entweder für Einzelbilder oder kontinuierliches Filmen mit 18 Bildern pro Sekunde gedacht – ähnlich wie beim Family-Konzept. „Die runden Formen deuten auf einen Zeitraum Ende der 1970er Jahre hin“, meint Schlagheck.

Agfa Moviematic C200 und C300 Designentwürfe für besonders schmale und kleine Super-8-Kameras. Foto: Schlagheck Design

Die Geräte werden nie in Serie gebaut. Agfa verlässt nach 1980 der Mut. Die Family ist ein Flop. Alle anderen Filmkamera-Marken hatten ebenfalls horrende Einbrüche. Der Super-8-Kameramarkt ist gesättigt. So bleiben Agfacord, Moviematic und Moviesette eine hübsche Idee ohne Verwirklichung. „Irgendwann“, so erinnert sich der ehemalige Mitarbeiter aus dem Designbüro, „holten die Agfa-Leute alle Super-8-Entwürfe bei uns ab und begruben die Pläne“. Nur die Agfacord 80, die hatte man wohl vergessen. Jahre später wird der Entwurf samt Mini-Kassetten in einem Schrank des Designbüros entdeckt.

 

 

 



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